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Warnschüsse aus dem Kosovo: Ende der Naivität des Westens dringend nötig

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Die politischen Spannungen zwischen Serbien und Kosovo haben weiter zugenommen. Am Sonntag, 31. Juli, kam es im Norden Kosovos zu Blockaden von Grenzübergängen, auch Schüsse wurden abgegeben. Auslöser war ein Streit um eine Verschärfung von Einreiseregeln. Dr. Konrad Clewing, Südosteuropahistoriker am Leibniz-Instituts für Ost- und Südosteuropaforschung, kommentiert:

Ein Genozid drohe auf dem Balkan – verübt von der kosovarischen Regierung an der serbischen Bevölkerungsgruppe im Kosovo. Das jedenfalls vermelden seit Wochen die öffentlichen Medien Serbiens, die fast alle direkt oder indirekt unter Kontrolle der Regierung stehen. Solche Meldungen sind natürlich Unsinn – aber ein gefährlicher. Denn so kamen die jüngsten Aktionen „serbischer Bürger des Nordkosovo“ zur Blockade der nahegelegenen Grenzübergänge zwischen beiden Ländern, begleitet von serbischen Kampfflugzeugen auf der Nordseite der Grenze, keineswegs aus dem Nichts.

Was ist der Hintergrund? Die kosovarische Regierung verfolgt die Umsetzung zweier Maßnahmen, die sie bereits vor einem Jahr beschlossen, dann aber für zwölf Monate ausgesetzt hatte, nachdem es damals an der Grenze schon einmal zu ganz ähnlichen Szenen gekommen war. Erstens handelt es sich um die Ausstellung eines Einreiseformulars für serbische Staatsbürger, die – ohne kosovarische Dokumente vorzuweisen – die Grenze nach Kosovo überqueren möchten. Die Betreffenden können damit bis zu vier Monate im Land verbleiben, müssen aber bei danach bei einer Ausreise das besagte Formular vorweisen. Zweitens geht es um eine Retorsionsmaßnahme dafür, dass an kosovarischen Autokennzeichen seit Jahren die staatlichen Symbole überklebt werden müssen, wenn sie serbisches Staatsgebiet befahren. Davor galt lange eine noch mühsamere Regelung, der zufolge kosovarische Kennzeichen gebührenpflichtig durch provisorische serbische Nummernschilder zu ersetzen waren. Mit der umgekehrten Neuregelung sollen nun auch auf serbischen Nummernschildern die Staatssymbole verklebt werden, wenn die Fahrzeuge auf kosovarischen Straßen unterwegs sind.

 

Dr. Konrad Clewing, Leibniz-Institut für Ost- und Südosteuropaforschung, Bild: IOS/neverflash.com

Die kosovarische Regierung nennt diese Vorhaben freilich nicht Retorsion, sondern „Reziprozität“. Spannungsvermindernd sind sie jedoch nicht, so viel steht fest. Klar ist aber auch, dass von Genozid oder einer „Politik des Terrors“ gegenüber der serbischen Minderheit in Kosovo, wie das offizielle Belgrad behauptet, in keiner Weise wirklich die Rede sein kann.

Die jetzige Maßnahmenumsetzung hat die Regierung in Prishtina nun auf Druck der westlichen Staaten – die von Serbien darum gebeten worden waren – erneut ausgesetzt, aktuell für 30 Tage (die Sache mit dem Einreiseformular) bzw. zwei Monate (die Nummerschildfrage). Danach sind wieder ähnliche Aktionen der serbischen Seite zu erwarten.

In diesem nicht allzu dramatischen Geschehen zeigt sich allerdings ein viel größeres Sicherheitsproblem: Die westliche Sicherheitsarchitektur für Kosovo und damit für den Frieden auf dem Balkan ist brüchig. Allzu lange hat sich der Westen darauf verlassen, dass Serbien seine Ansprüche auf das Gebiet des Kosovo schon irgendwie nicht ganz so ernst meinen würde. Über die Existenz von serbischen Regierungsorganen für Kosovo, die dessen staatliche Existenz bestreiten und unterminieren, wurde in aller Regel milde hinweggesehen – so schlimm sei das alles schon nicht gemeint, allenfalls der kleine vorwiegend serbisch besiedelte Nordkosovo befinde sich wirklich im Visier der Belgrader Territorialansprüche.

Die russische Rhetorik gegen die Ukraine vor dem Kriegsausbruch sollte allerdings Menetekel genug sein, nicht weiterhin so naiv zwischen „verbalem Radikalismus“ und „realpolitischer Bescheidenheit“ revisionistischer Ziele zu unterscheiden. Kosovos Sicherheit, und damit der Frieden in jenem Teil Europas, wird effektiv vor allem durch die 1999 installierte Nato-Mission der KFOR gesichert, die aber als Erbe ihrer Entstehungszeit die äußere Sicherheit Kosovos gar nicht explizit in ihrem Mandat verankert hat. Das wird auch so bleiben, da dieses Mandat an eine Sicherheitsratsresolution der Vereinten Nationen geknüpft ist – wo Russland als informelle Schutzmacht Serbiens, und auch aus eigenen Machtinteressen, einer Änderung niemals zustimmen würde. Der Westen sollte deshalb dringend über eine stabilere Sicherheitskonstruktion nachdenken. Realistisch betrachtet kann sie nur in der Nato-Mitgliedschaft für Kosovo liegen, und als ersten Schritt dazu in der Vergabe eines entsprechenden Kandidatenstatus.


Beitragsbild: Serbien und mit ihm die serbischen Minderheit in Kosovo verweigern die Anerkennung der staatlichen Unabhängigkeit von Kosovo. Aufnahme von einer Kundgebung in Gračanica, 25.3.2022, im Vorfeld der serbischen Parlaments- und Präsidentschaftswahlen: „Eine Übergabe Kosovos gibt es nicht“, lautet die Inschrift auf dem mit dem serbischen Staatswappen unterlegten Umriss von Kosovo. Bild: IMAGO / Pixsell


Dr. Konrad Clewing ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Leibniz-Institut für Ost- und Südosteuropaforschung, im Ehrenamt Vorstand des Albanien-Instituts e.V. und als Historiker ein Experte für den Kosovo.


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